Essen

Wir hatten uns damals geschworen unsere Essgewohnheiten nicht dem einseitigen Geschmack der Kinder unterzuordnen. Wir waren jung und naiv. Mittlerweile besteht der Essensplan aus 5 Gerichten. Lotte nennt sie liebevoll ihre „Best of“. Die Kinder mögen diese kulinarische Monokultur. Überraschungen sind am Mittagstisch unerwünscht. Und wenn es doch einmal eine freche Variation auf die Teller der Kinder schafft, dann werden diese von mimischen und verbalen Entgleisungen begleitet. Geschmackliche Vielfalt wird einstimmig niedergenörgelt.

Wenn Marie dürfte wie sie wollte, dann würde sie sich nur von Brot ernähren. Weißem Brot natürlich. Und Kuchen. Sie heißt Antoinette mit Nachnamen. Natürlich mögen alle Töchter Nudeln. Für einen kurzen Moment habe ich mal gedacht meine Kinder wären anders als alle anderen. Ha. Was für ein Irrtum. Da sitzen sie. Die lieben Kleinen. Wie Spürhunde finden sie selbst mikroskopisch kleine Zwiebelstückchen in der Tomatensoße. Sie schnüffeln an ihrem Essen als würde ich sie mit dem Möhrengemüse vergiften wollen. Mit ihren Gabeln und Messern pieksen und sortieren sie Aufläufe und Eintöpfe. Sie sezieren und sortieren. Sie popeln und stochern. Sie stöhnen und wimmern. Sie mäckeln und rügen.

Wenn ich sie dabei beobachte wie sie versuchen die Paprika unter dem Pizzakäse zu orten, dann frage ich mich jedesmal wieso sie so verdammt schlechte Sucher sind. Mit traumwandlerischer Sicherheit finden sie die winzigen weißen Knoblauchstücke im weißen Kräuterquark, sind aber unfähig ihre Jacken, Brillen und Turnschuhe zu lokalisieren, selbst wenn ich ihnen diese direkt vors Gesicht halte und sie dazu anbrülle „Hier, Ida. Hier ist deine Jacke. Ich habe sie. Sie lag auf deinem Bett. Ganz obenauf.“ Ida schaut mich an und erwidert: „Oh, habe ich gar nicht gesehen. Ich habe ja meine Brille noch nicht gefunden.“

Eine Zeit lang habe mir einen Sport daraus gemacht den Kindern kleine Überraschungen ins Essen zu mischen. Eine Erbse ins Kartoffelpüree. Spinat in die Buchstabensuppe. Oder einen Kümmelsamen in den Milchreis. Sadonisch lächelnd habe ich ihnen dann nach der Mahlzeit gesagt, was sie da gegessen haben. Welch fader Triumph. Welch schwacher Trost. Wahrscheinlich trauen sie meinen Kochkünsten deshalb so wenig.

Mittlerweile haben die Kinder verstanden, dass mein unbändiger Zorn über sie kommt, wenn sie ihrem Unmut über mein Essen lautstark Ausdruck verleihen. Statt einem „Bäh, das mag ich nicht!“ dominiert jetzt das diplomatische „Danke, ich bin so satt!“ Dieser Lernprozess hat ja auch nur acht Jahre gedauert. Mal sehen, wann sie es das erste mal schaffen, die Toilettenspülung zu betätigen, den Klodeckel herunterzuklappen, Türen hinter sich zu schließen oder das Licht in Räumen zu löschen, die sie nicht mehr zu betreten gedenken.

Heute bin ich zu Mürbeteig in ihren ignoranten Händen geworden. Willenlos koche ich immer gleiche (jüngste) Gerichte, die von den Kindern mit ewig gleicher Begeisterung heruntergeschlungen werden. „Hmm, das war lecker. Was gibt’s zum Nachtisch?“ Mit großer Regelmäßigkeit finden Pfannkuchen und Fischstäbchen den Weg auf die Teller. Für Erwachsene findet Essen erst statt wenn Ernährung abgeschlossen ist. Wenn die Kinder den Tisch längst verlassen haben oder schon im Bett sind. Dann wird gesottenes und gebratenes aufgetragen. Geschmortes und Gegartes wird von kichernden Erbsen singend begleitet.

Bald wird Lotte ein waschechter Teenie sein. Dann wird sie ein kulinarisches Modebewusstsein entwickeln und gar nicht mehr mit uns essen, weil sie sich für ein veganes Leben entschieden hat. Ida isst ohnehin nur, weil sie leben will und nicht sterben möchte. Bis dahin werde ich an unserem Tisch sitzen und um der Sozialität Willen weiter Pfannkuchen erdulden. Von mir aus auch drei mal die Woche.

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