Familienfoto

Im Kindergarten ist heute einer dieser lokalen Star-Fotografen. Einer mit so einem kleinen Fotoladen in dessen Schaufenster die schrecklichsten Hochzeitsfotos der Welt stehen. Direkt neben den schlimmsten Aktportraits in der Geschichte der Aktfotografie. Direkt neben den furchtbarsten Kinder-Schultüten-Lichtbildern, auf denen schon 6jährige aussehen wie picklige Teenager. Es ist dieses Portfolio des visuellen Schreckens, das die Kindergartenleitung zu einer erneuten Buchung des Künstlers bewogen haben muss. Die bunte Mischung aus geschmackvoll tätowierten Brüsten, ungeschickt ausgeleuchteten Hochzeitspaaren und nackten Eltern mit ihren nackten Babys vor lebensbejahenden Hintergründen aus schwarzer Velours-Viskose.

Meine Familie kann sich diesem Ereignis nicht entziehen. Ein Nichterscheinen würde dem Rest unserer kleinen Welt nur bestätigen was längst alle vermuten: Wir sind keine guten Eltern. Als wir am Kindergarten eintreffen ist das Shooting bereits in vollem Gange. Eine Schlange aus feierlich gekleidetem Eltern-Kind-Material steht vor der Tür zur kleinen Turnhalle der Kindertagesstätte. Kleine Jungs, die von h&m Krawatten gewürgt werden. Kleine Mädchen, in kleinen zara/mng/verbaude Cocktail-Kleidchen. Mode von Kindern für Kinder. Peer-to-Peer Dressing. Väter in mittelprächtig sitzenden Anzügen. Mütter mit Hochsteckfrisuren und gemachten Nägeln. Sie alle haben alles gegeben für diesen einen Moment. Bereit um familiäre Glückseligkeit auf ein Bild zu komprimieren und die Hoffnung auf den Anruf des Fotografen nach dem Shooting: „Darf ich ihr Bild in meinem Schaufenster ausstellen? Sie und Ihre Familie haben Ausstrahlung!“

Wir reihen uns ein. Ursprünglich war der Plan, in weiß zu erscheinen. Weiß vor schwarzem Hintergrund. Wie unfassbar naiv. Das einzige was weiß ist, sind die Strümpfe von Marie und Ida. Wir haben nicht aufgepasst und die beiden sind mit ihren Lieblingstennissocken und den passenden Sandalen entwischt. Dabei sind die Füße dieser beiden Töchter noch das kleinste Übel. Wir dachten mit „weiß“, das modische Ziel für diesen Nachmittag klar umrissen zu haben. Nein. Marie trägt das grasbefleckte, zerknitterte Kleid ihrer viel zu großen Schwester. Ida hat sich für ein neckisches Ensemble aus khakifarbener Cargo-Short und Oben Ohne entschieden, während Lotte sich dem Diktat ihrer Eltern völlig verweigert hat und schwarz trägt. Einzig Emil hat an, was er soll. Naja. Fast. Unter vielen kulinarischen Flecken verborgen, versteckt sich ein T-Shirt das in grauer Vorzeit (heute morgen) einmal hell geleuchtet haben mag. Nachdem wir, unter den kritischen Blicken der passend gewandeten Model(l)familien die gröbsten Fehler unserer modischen Ausstattung beseitigt haben, fällt mir auf, dass jeder 4jährige Bengel in dieser Schlange besser gekleidet ist als ich. Alle tragen sie schicke Hemden. Ich bügele meine Hemden selbst, deshalb trage ich nie welche. Aber Helena sieht gut aus. Das rettet mich. Wer interessiert sich schon für den Vater, wenn die Mutter gut aussieht?

Schließlich gleitet die Tür zur Turnhalle auf. Eine wohlriechende Zweikind-Vorzeigefamilie gleitet an uns vorbei. Jetzt sind wir dran. „Kommen sie. Nur keine Angst. Stellen sie sich doch direkt vor den schwarzen Hintergrund.“ In der parfümgeschwängerten Luft unserer Vorgänger ordnet uns der Fotograf in ein schönes spießbürgerliches Stillleben. Endlich gehören wir auch dazu. Doch noch bevor der gute Mann den Auslöser seiner gewaltigen Spiegelreflex-Kamera betätigen kann, bricht sich die Natur unserer Kinder Bahn. Kurze Phasen der Langweile versucht Emil immer mit einem Finger in der Nase zu überbrücken. Offensichtlich ist das hier alles enorm langweilig. Lotte wird sich auf einmal ihrer Arme bewusst und hat keine Ahnung, wo die eigentlich hingehören. Linkisch windet sie sich vor der Kamera. Ida ist schon gar nicht mehr da, weil vor dem Fenster der Turnhalle eine Katze sitzt. Ida liebt Katzen. Allein Marie liebt die großen Momente und posiert dramatisch. „Das bekommen wir hin!“, lächelt der Fotograf gequält. 10 Minuten später sind wir keinen Schritt weiter. Wir haben ein paar schöne Aufnahmen von Marie und eine beeindruckende Dokumentation darüber, wie tief der menschliche Finger in Nasengänge vordringen kann. Außerdem haben wir festgestellt, dass unsere schwarzgewandete Erstgeborne vor dem schwarzen Hintergrund völlig körperlos ist. Eine Teenager-Tochter, die nur aus Kopf besteht und jede Beziehung zu ihrem Körper abgebrochen hat, mag zwar verstörend prophetisch sein, aber leider nicht Familiengalerie-kompatibel. Und Ida? Ida ist zweimal durchs Bild geschlichen, weil die Katze von der linken auf die rechte Seite des Innenhofes gewechselt ist. Lauter schöne Schnappschüsse mit genervten Eltern und Kindern, die auf der Erde nur zu Gast sind.

Der Fotograf hat sich mittlerweile büschelweise Haare ausgerauft und greift nun tief in seine diapositivistische Trickkiste. „Warum versuchen wir es nicht nackt?“ Als wir später wieder zu Hause sind, essen wir Eis und versuchen nicht zu reden. Eine Woche später ist der Fotograf am Telefon. „Darf ich ihr Bild in meinem Schaufenster ausstellen? Sie und Ihre Familie haben Ausstrahlung!“

14 comments

  1. Ich lach mich krank und bin somit schon unheimlich neugierig und fast aufgeregt auf unser erstes Shooting. Danke für diesen toll geschriebenen Text.

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    1. ..ups. Ich war noch gar nicht fertig😂
      Jedes Jahr das Gleiche. Ich glaube diese Schule und Kindergartenknipser sind immer so. Also ich kenne keinen,der anständige Bilder in seinem Studio hat. Kenne aber auch nur 2😋. Ihr habt alles richtig gemacht….Der Ärmste😂ich war irgendwie mit dabei…So gefühlsmäß

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  2. Das es Fotografen gibt, die einfach noch nicht den letzten Schrei gehört haben, ist bekannt. Es ist wie in jedem Beruf, nicht wahr?
    Dann aber keine Fotos zu wollen und
    aus einem sozialen Druck heraus dort dennoch zu erscheinen und
    die Bilde unnötig schlecht erscheinen zu lassen, indem man eine schlechte Kleiderwahl trifft (obwohl ich heraus hören kann, dass das Wissen über geschickte Kleiderauswahl beim Fotografen scheinbar vorhanden ist) und
    dem Typ letzten Endes auch noch die Zeit zu stehlen,
    ist doch hoffentlich ein vollends überzogener Text und entspricht hoffentlich nicht dem wahren Ablauf der Geschichte und dient nur dem füllen Ihres Blogs?
    Denn das wäre traurig…
    Eine unprätentiöse Herangehensweise ist sicherlich der bessere Weg, auch als Vorbild für Kinder.

    Mit freundlichen Grüßen von einem Familienfotograf (der keine KIGA-Fotos macht; kein Ladengeschäft besitzt; keine Babybilder vor schwarzem Hintergrund als Standardsituation fotografiert; ebenfalls nicht den KIGA-Fotograf in Anspruch nimmt)

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