
“Das Leben mit Kindern ist ein großes Abenteuer!”, erzählen verwirrte Menschen mit großer Begeisterung. Findet jemand Gefallen an ständigen Wiederholungen und der Neuauflage seines eigenen Lebens, dann mag das zutreffen. Das Leben mit Kindern ist (k)ein Abenteuer. Das Leben mit Kindern ist häufig eine endlos lange Endlosschleife, die der Herrgott selbst kunstvoll um Episoden meines Leben gebunden hat.
Nach einem mäßig erfüllten Arbeitstag überquere ich mäßig gelaunt die heimische Türschwelle. Keine 3 Sekunden später steht Emil vor mir. “Papa, darf ich Feuerwehrmann Sam gucken?”. Natürlich darf er. Er darf nämlich immer, wenn er fragt. Alles. “Nein. Emil. Darfst du nicht! Geh raus spielen. Das Wetter ist toll.” Ich höre mich an wie ein Vater. Ich bin mein eigenes Déjà-vu. Emil ist nicht bereit aufzugeben. Monoton jammernd und unbeeindruckt fragt er mich gefühlte zehn weitere Male. Er bekommt gefühlte zehn weitere Male die gleiche abschlägige Antwort. In mir keimt schlechte Laune auf und droht mein mühsam hergestelltes inneres Gleichgewicht aus der Waage zu bringen.
Eine Bekannte erinnerte mich erst neulich daran, dass Lernen iterativ sei. Sie hat recht. Als Emil zu einem elften Versuch ansetzt bin ich mürbe und bereit die kleine Schäfchenwolke am strahlend blauen Himmel als Unwetterfront zu interpretieren, um den kleinen Plagegeist reinen Gewissens mit dem Feuerteufel Norman Price ruhig zu stellen. Mein Sohn ist der Meister Yoda der Iteration. Er hat mich unterwiesen. Ich habe meine Lektion gelernt. “Sam hilft dir in der Not” – Der Song lügt nicht.
30 Minuten später stehe ich in Idas Kinderzimmer und führe wieder die “Warum-immer-ich-Diskussion”. Ich erkläre ihr zum millionsten Mal warum immer sie. Ich bin von mir selbst gelangweilt und verstehe nicht, warum Ida nicht auf der Stelle einschläft, wenn sie uns zuhört. Nach einer Weile schaue ich in ihr kleines Gesicht und sehe, dass sie schon lange nicht mehr da ist. Ich habe mit mir selbst diskutiert. Wieder mal. Ich schiebe Ida vor den riesigen Klamottenhaufen in der Zimmermitte und gebe ihr mit Gesten zu verstehen was ich von ihr erwarte. Sie reagiert mit leerem Blick. Halbautomatisch und lustlos. Mir reicht das fürs Erste. Ich habe meinen Erziehungsauftrag erfüllt und will mich den wichtigeren Dingen des Lebens zuwenden. Autowaschen. Rasenmähen. Das Moos aus den Fugen der Einfahrt herauskratzen. Dinge, die ich schon länger nicht gemacht habe. Im Garten sehe ich Helena, die einen riesigen Felsbrocken auf unseren kleinen Grashügel wuchtet. Das tut sie häufig. Ich wundere mich über diese antike Form des Workouts. Sagenhaft.
Ganz hinten in der Garage steht das schwere Gartengerät. Wahrscheinlich hätte ich meine deutschen Spießerpläne vorher anmelden müssen, denn der Fuhrpark der Kinder blockiert das Hinten des Raumes. Kunstvoll hat die Brut ihre Fahrräder aufeinandergestapelt. Für noch besseren Halt haben die Töchter die Pedalen und Speichen ineinander verkantet. Die Ränder des Hügels haben sie mit Longboards, Wasserpistolen, Badmintonschlägern und Springseilen befestigt. Auf der Spitze des Kunstwerks thront eine kleine Auswahl unserer Bobby Cars. Die Plastikkirsche auf der Stahlsahne. Den Rasenmäher kann ich lediglich erahnen. Wie oft habe ich ihnen gesagt, dass sie ihren Scheiß ordentlich wegräumen sollen? Wie oft? Diese Frage werfe ich Marie an den Kopf, die mit einer Freundin an mir vorbeischlendert. “Ja. Papa. Gleich!” Freundlich brülle ich, dass ich “gleich” für keine Option halte und das sie gefälligst sofort mit dem Rückbau des Fahrzeuggebirges beginnen solle. Marie hört sich das geduldig an. Rollt dann mit den Augen und schenkt ihrer Freundin das milde “Eltern-sind-bescheuert-Lächeln”. Die Freundin nickt wissend. Man zwinkert sich zu und beginnt aufreizend lässig mit der Arbeit. Nicht genug damit, dass man meinen Ärger nicht ernst nimmt. Man hält mich offenkundig auch noch für dämlich. Meine innere Mitte kocht in einem heißen Sud aus Bitterkeit und Rachsucht. Ich suche das Weite.
In der Gartenmitte treffe ich Helena und eine Weile rollen wir gemeinsam den riesigen Felsbrocken den Hügel hinauf und beobachten dann, wie er auf der anderen Seite wieder hinabrollt. Als ich eine Stunde später wieder an der Garage vorbeikomme, liegt das Fahrzeuggebirge noch immer unberührt in der Mitte des Raumes. Tatsächlich kommt es mir so vor, als wäre es eher größer als kleiner geworden. Marie und ihre Freundin sind nirgends zu sehen. Und weil das Absurde nur insofern einen Sinn hat, als man sich nicht mit ihm abfindet, schnappe ich mir ein Seil, binde es mir um die Hüfte und wage den Aufstieg.
Nach einer halben Ewigkeit schlagen die Suchhunde an und man birgt meinen leblosen Körper aus dem Spielzeuggeröll. Besorgte Töchter verfrachten mich auf die Couch und kümmern sich rührend um mich. Ida bringt Chips und Salzstangen. Marie guckt schuldbewusst. Alle zusammen schauen wir mit Emil wie Feuerwehrmann Sam zum tausendsten Male die lebensmüden Menschen von Pontypandy vor dem sicheren Tode rettet. Mein Blick gleitet durchs Fenster in den Garten. Den Felsbrocken hat Helena wieder in die Garage gerollt. Dort thront er jetzt auf dem Spielzeuggipfel. Morgen ist wieder ein Tag.
Gleich ist gleich gar nicht.
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Aus dem Leben!! Toll geschrieben! Vielen Dank.
Vielleicht liegt es bei mir ja am Alter oder am gestrigen Abend, aber den engen Text ohne Headlines oder andere Auflockerungen fand ich etwas anstrengend.
Komme gerne wieder vorbei…
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Herrlich:) Bei uns grüßt auch jeden Tag das Murmeltier. Ich bin unentschlossen, ob man mich bei uns Zu Hause nicht ernst nimmt; ob Ihnen meine Anweisungen egal sind, ob sie Wahrnehmungsstörungen haben oder, ob es wirklich an siebartigen Gedächtnissen liegt.
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Danke für diesen gelungenen Text!
Ich musste durchgehend schmunzeln, weil das ein Tag meines Lebens sein könnte. zwischen Feuerwehrmann Sam „immer ich“ und Chaos 😄
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