Verschenkt

Die Kinder basteln Geschenke. Ständig basteln sie Geschenke. Zu jedem Fest. Am Anfang war es nett, aber nun sind es vier Kinder und alle basteln sie Geschenke. Von mal zu mal fällt es mir schwerer, Freude zu heucheln. Ich stelle mir vor, wie die Kinder reagieren würden, wenn wir ihnen etwas zum Geburtstag basteln würden. Ein selbstgemaltes Bild mit allen Familienmitgliedern, statt eines Fahrrades. Sicher. Es hat mit Ressourcen zu tun, aber eigentlich wünsche ich mir nur gute Laune und absoluten Gehorsam von ihnen. Ist das denn zu viel verlangt? Stattdessen bekomme ich halbherzig gefalteten Zellstoff, der aus unerklärlichen Gründen mit Tesafilm verklebt und mit Buntstiften bekritzelt wurde.

“Hier Papa, das habe ich für dich gemacht! Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag.” Ida drückt mir einen farbigen Papierknödel mit Fettflecken in die Hand und wendet sich dann meinem Geburtstagskuchen auf dem Frühstückstisch zu. “Danke, Ida! Damit kann ich im Winter den Ofen anstochen!” Das denke ich nur und fühle mich schlecht dabei. Aber die Zeiten in denen Ida sich konzeptionell mit der Bastelaussage beschäftigte, bevor sie sich ans Werk machte, sind ganz offensichtlich vorbei. Sie handelt es ab. Was im Zimmer rumfliegt wird integriert. Inklusives basteln. Ein Kieselstein. Sand. Ein Stück Schnur. Apfelkerne. Alte Wurstbrote. Im Prinzip hat sie mir den Inhalt ihres Papierkorbes geschenkt. Und ich muss mich jetzt darüber freuen. Es ist ihre Rache für jedes “räum dein Zimmer auf, Ida”! Ich starre auf den stinkenden Zellstoffklumpen in meiner Hand. “Es ist… wunder… schön… danke!” Ich lächle gezwungen, tätschle Ida das klugbösartige Köpfchen und Helena lacht. Ich werfe ihr den “Warte-ab-bald-hast-du-Geburtstag-Blick” zu. Sie verstummt, erinnert sich an ihre eigene Kommandostruktur und ahnt Schlimmes. Ich sehe befriedigt die nackte Angst in ihren Augen.

Lotte hat das sorgende Herz der Ältesten. Sie hat Smoothies gebastelt. In der nachbarlichen Küche. Zusammen mit ihrer besten Freundin. Dem Geschmack nach zu urteilen… ohne Aufsicht und auch ohne Rezept. In meinem Mund explodiert ein halber Liter Pfefferminz-Sirup zusammen mit Zitronenschalen und Johannisbeersaft-Konzentrat. Meine Geschmacksnerven eskalieren. Mein Gesicht auch. In Sekunden um Jahre gealtert, würge ich den beiden wenig überzeugend ein “Mmmmhhh… lecker!” entgegen. Lotte und ihre Freundin blicken skeptisch. Also leere ich den bitteren Kelch tapfer bis zur Neige. “Wirklich… sehr… inter… sehr gut!”, behaupte ich mit Tränen in den Augen. Lotte interpretiert es als Rührung und zaubert hinter ihrem Rücken einen zweiten, noch größeren Kelch hervor. Nein. Kein Kelch. Es ist ein Pokal. Bis zum Rand gefüllt mit einer zweiten Portion flüssigen Leids. Es ist der Pokal den Ida Lotte zu ihrem letzten Geburtstag geschenkt hat, nachdem ich sie aufgefordert hatte das Ding endlich wegzuschmeißen. „Das fliegt doch nur rum”. Ich war ein Narr. Der Pokal wurde zu einem Geschenk umfunktioniert und jetzt sucht er mich heim. Verzweifelt wende ich mich an Helena. Sie schüttelt panisch den Kopf. Ich flüstere ihr etwas von ehelichen Pflichten ins Ohr, woraufhin sie den Pokal in einem Zug leert, den beiden Smoothie-Designerinnen dankt und dann aus der Küche stürzt. Ich sage ihr nicht, dass Emil gerade auf dem Klo sitzt und darauf wartet abgeputzt zu werden.

Dieser Geburtstag ist ein untrügliches Zeichen für einen grundlegenden Wandel, der in dieser Familie vollzogen werden muss. Es ist zeit für eine Umverteilung des Reichtums. In Zukunft werden alle Kinder gleichmäßig an meinem Gehalt beteiligt und ich werde zu den großen Festen unverschämte Wunschzettel schreiben. Und wehe eines dieser Kinder bastelt nochmal.

12 comments

  1. 🙂 Das mit der Gehaltsbeteiligung ist eine gute Idee. Mal sehen, ob ich das hier auch einführen werde. Wobei – wir sind schon eine Stufe weiter….bei den Gutscheinen. Gutschein über 5x Spülmachine ausräumen. Gutschein über 3x Rücken massieren. Gutschein über keine Ahnung was…. Eingelöst werden die natürlich nie. Wenn ich dann mal ein „kannst-du-mal“ rüber werfe, kommt bestimmt „ne, Mama, nicht jetzt, keine Zeit, aber morgen, ganz bestimmt“ ….Darauf warte ich dann und warte und warte ….

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  2. Davor graut es mir schon seit ca 10 Jahren — also seit meinem „Tante“-Status. Als Tante sitzt man zG nicht an forderster Front, aber wenn ich dann selber Mutter bin… Omg, ich werde das nicht lange durchhalten.
    Ich wünsche dir viel Erfolg beim Umstrukturieren!

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  3. Der Pokal wurde zu einem Geschenk umfunktioniert und jetzt sucht er mich heim.

    Unmittelbar muß ich an die Geschichte mit den mathoms bei den Hobbits denken. Eines Tages kehren Dinge immer zu einem zurück. Sofern man nicht vorher in Deckung geht. Oder sein Gehalt aufteilt. Vielleicht könnte man ein oder zwei der Kinder verschenken? 😀

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