Stallgeruch

Meine Kinder haben diese Gabe. Sie wittern autoritäre Schwachstellen. Erzieherische Lücken füllen sie traumwandlerisch sicher mit der Erfüllung eigener Wünsche. Meist warten sie bis ich lese oder anderweitig in Anderweitiges vertieft bin. Und sobald sie sich ganz sicher sind, dass mein monotaskendes Hirn auf Durchzug geschaltet hat, schicken sie das bestgelittenste Glied der geschwisterlichen Kette, um alles entscheidende Fragen zu stellen. “Papa wir haben keine Lust auf Linsensuppe zum Mittagessen, können wir Nutella-Brote essen?”, “Papa, können wir mit dem Gartenschlauch die Straße vereisen?”, “Papa, können wir am Wochenende Kart-fahren gehen?”. “Papa, kann ich mein Geburtstagsgeschenk jetzt schon haben?” Mein apathisches Brummen wird dann gerne als “Ja” interpretiert. Und dann esse ich alleine Linsensuppe, warte auf Glatteisopfer mit Unterschenkelhalsbrüchen oder fahre Kart in öden Kreisbewegungen. Mittlerweile habe ich Angst mich in Dinge zu vertiefen. Zu oft schon habe ich Unaufmerksamkeit teuer bezahlt.

Ich stehe nackt im Bad. Auf dem Weg in die Dusche habe ich Emil vertrieben, bevor er es sich zum Kacken bequem machen konnte. Er ist das einzige Kind, dass die Toilette so besitzt wie andere einen Ohrensessel vor einem warmen Kaminfeuer. Wohlig seufzend und in völliger Entspannung. Emil trollt sich mürrisch grunzend in das Bad ein Stockwerk höher. Duschen im Fäkaldunst ist kein sehr sinnliches Erlebnis. Jetzt gehören diese 7 Quadratmeter Wohlfühloase mir. Nur mir. Denke ich naiv. Da fällt eine hektische Tochter aufgeregt mit der Tür in mein erobertes Territorium. “Papa. Sie kommen. Jetzt. Sie kommen endlich!” Das völlig ekstatische Kind stürzt wieder davon. Bevor ich fragen kann wer da kommt und ob das eine gute oder eine schlechte Nachricht ist, höre ich draußen einen Schwerlasttransporter vorfahren. Oder ist es ein Panzer? Ist es doch der Russe? Die Erde bebt. Bremsen quietschen. “Wo sollen die Dinger denn hin?”, donnert die Stimme des örtlichen Bauunternehmers, Hauke Hartmann. Hauke Hartmann steht vor meinem Haus. Und wenn Hauke Hartmann naht, dann ist das kein Spaß. Jetzt bekomme ich langsam Panik. Ich finde nichts was sich innerhalb von drei Nanosekunden anziehen lässt. Aber es muss schnell gehen, denn wenn Hauke Hartmann erstmal in den Arbeitsmodus schaltet, dann ist man besser weit weg.

“Also? Wo ist dein Vater, Kind!” Hauke Hartmann wird böse. Scheiße. Hauke Hartmann mit schlechter Laune in meinem Vorgarten. Ich schnappe mir Lottes Bademantel. Den mit dem verspielten roten Tauwerk, das sich in neckischen Herzformen um blaue Anker schlängelt. In Größe 158. Es ist alles egal. Hauptsache Hauke Hartmann muss nicht länger warten. Als ich endlich vor ihm stehe ist Hauke sehr fasziniert von meiner Kleiderwahl. Lottes Bademantel bedeckt gerade das Wichtigste und an den Füßen trage ich meine grell-braunen Garten-Birkenstocks. Fuck it. “Hallo Hauke. Was soll wo hin?” Mir ist kalt und ich will alle bauunternehmerischen Vorhaben möglichst schnell im Keim ersticken.

Hauke löst seinen belustigten Blick von meinen unvorteilhaften Äußeren und fuchtelt mit seinem riesigen Kanonenarm in Richtung seines monströsen Traktors. Auf dem Anhänger dahinter thront ein massiver Kaninchenstall aus deutscher Eiche. Kein furnierter Scheiß. So groß wie das Badezimmer aus dem ich gerade komme. “Ich brauche keinen Kaninchenstall, danke.” Ich frage mich, wie er auf die Idee kommt, das Ding hier abladen zu wollen. “Der muss hinter das Haus!”, höre ich eine Kinderstimme rufen. Lotte kommt aus dem Haus gelaufen und mustert mich kurz. “Papa. Das ist mein Bademantel. Häng’ ihn bitte nachher zurück.” Dann geht sie auf Hauke Hartmann zu und schüttelt seine riesige Pranke. “MOMENT! Was soll das eigentlich? Ein Kaninchenstall? Warum? Es gibt keinen Stall und keine Kaninchen. Wir haben darüber gespro…”. Und dann schneidet das gleißende Licht der Erkenntnis durch meinen Hirnnebel. “Du hast vorgestern “ja” gesagt, Papa.” Neben mir steht Ida und zupft an Lottes Bademantel. Nichts habe ich gesagt. “Nichts habe ich gesagt, Ida!”. Sie sieht mich mitleidig an. “Doch Papa. Ich habe dich gefragt, ob wir die Kaninchen von Hauke Hartmann haben können, weil er sie sonst aufessen wird.” Tränen stehen in Idas Augen. “Und du hast etwas in deinen Computer getippt und hast “ja” gesagt.” Ich habe allenfalls gebrummt. “Und du hast mit dem Kopf genickt.” Ich habe allenfalls mit dem Kopf gewackelt. Und jetzt steht der Kaninchenfresser Hauke Hartmann auf meinem Grund und Boden, um seinen monströsen Stall samt tierischem Inhalt in meinem Garten zu verklappen. Na toll.

Meine Position ist aussichtslos. Ich trage einen Kinderbademantel und habe brummend mit dem Kopf gewackelt. Ich habe verloren. “Also gut, Hauke. Hinter das Haus.” Hauke Hartmann klettert befriedigt schnaufend in seinen Traktor. Zündet die riesige Maschine und pflügt einmal quer durch den Vorgarten, um den Stall hinter das Haus zu fahren. 2 Minuten und einen verwüsteten Rasen später ist alles vorbei. Lotte und Ida lächeln triumphierend. Wartet nur ihr beiden. Weihnachten schenke ich euch Bücher. Ich kehre zurück ins Bad, um mir den Ärger aus dem Kopf zu duschen und mich anschließend in etwas würdevolleres zu kleiden. Im Bad begegne ich Emil. Er hat die Chance genutzt, um sein Lieblingsklo zu besteigen. Es stinkt fürchterlich. Emil lächelt mich an. “Fahren wir gleich in den Zoo, Papa? Du hast es gestern versprochen!”

3 comments

  1. Also, ich hab ja früher bei meiner Ex-Herzensdame immer gerufen „Schaaaa-aaatz!“
    Wenn die Kinder mit irgendwas Wünschigem ankamen. Denn auf meine Nachfrage, ob denn die Mondreise, das Verwüsten des Obstbaums mit Baumhäusern, die Zweckentfremdung der Katzen als Zugtiere oder solche Dinge von Mama auch schon genehmigt seien, kam natürlich immer ein bestätigendes „Ja-haa!“

    Und jeder, der Kinder kennt, weiß genau, was das bedeutet. Diese Methode des gegenseitigen Rückversicherns hat durchaus achtbar funktioniert.

    Ich komme aber über die Vorstellung mit dem Bademantel trotzdem nicht weg 😀

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