Karneval

Ich kann kein echter Kölner sein. Ich hasse den Karneval. Heiß und innig. Es war mir wichtig diese innere Haltung an meine Kinder weiterzugeben. Ich habe mich redlich bemüht und bin kläglich an meinen jecken Töchtern gescheitert. Emil war meine letzte Hoffnung. Er hat mich nicht enttäuscht.

Im Kindergarten steht die alljährliche Karnevalsfeier auf dem Programm. In einem offenen Elternbrief hat die militant-karnevalistische Leiterin der Einrichtung den Eltern nahegelegt, die Kinder im verkleideten Zustand im Kindergarten abzuwerfen. Geschminkt wird vor Ort – ob die Kinder nun wollen oder nicht. Da verstehen die erziehenden Damen keinen Spaß. In der fünften Jahreszeit werden jedes Jahr zusätzlich zwei besonders humorlose Integrationskräfte (mit Armen wie Schraubstöcken) eingestellt, um kulturpessimistische Kinder zum Karnevalismus zu bekehren. Mit missionarischem Eifer werden flüchtende Kinder verfolgt, fixiert und bemalt. Marienkäfer, Blumenmotive und Tigerschnauzen werden in tränenverschmierte Gesichter gezwungen. Deutsche Leidkultur.

Wir wollen Emil diese Pein ersparen und haben deshalb im voraus eine kleine Auswahl an Verkleidungsmöglichkeiten zusammengestellt. Das war nicht schwer, denn Emil hat nur zwei Helden. Den Nikolaus. Und Spiderman (wir rätseln immer noch woher die Begeisterung für Spiderman rühren könnte). Seit gefühlten sechs Monaten hören wir mindestens 2 mal täglich Rolf Zuckowskys großen Hit „Guten Tag ich bin der Nikolaus!“. Rolf Zuckowsky. ROLF FUCKING ZUCKOWSKY. Geißel der Elternheit. Und Emil grölt mit. „Guten Tag ich bin der Mikkilaus!“. Wir haben uns an den Mikkilaus gewöhnt. „Bald ist Mikkilaus Abend Tag!“.

Spiderman oder Mikkilaus? Vor Emil liegen ein Weihnachtsmann-Kostüm und ein neuer Spiderman-Schlafanzug, der nach dem Karneval seiner ureigensten Bestimmung – dem Tragen im dunkeln – zugeführt werden wird. Schnell ist klar worauf es hinausläuft. „Isch will Spider-Mikkilaus sein!“. Stan Lee wäre begeistert. 10 Minuten später sind wir eigentlich abfahrbereit. Unter seinem Mikkilaus-Kostüm trägt Emil den Spiderman-Schlafanzug. Aber im Flur kippt die Laune. Aus Jammern wird Geheule aus Geheule wird Gebrüll. Ich stelle wieder fest, dass mein Genervtsein keine fruchtbringende Deeskalaltionsstrategie ist. Ich erinnere mich an meinen eigenen Karnevalshass. Am Ende mache ich mich mit einem Emil in Jeans und Pullover auf den Weg in die Hölle, Hölle, Hölle.

Dort ist die Party in vollem Gange. Aus der Anlage plärrt blechern Rolf Zuckowsky. ROLF FUCKING ZUCKOWSKY. Mit seinem großen Hit „Es ist nicht leicht ein Narr zu sein!“. Anlässlich der Feierlichkeiten wurden im Flur 3,5 Tonnen weißes Konfetti verklappt. Ich halte Emils angstverschwitzte Hand und und lasse den Blick schweifen. Die Integrationskräfte haben ein kleines Mädchen von der Herde getrennt und in die Spielecke getrieben. Die beiden Pädagoginnen zerren das wehrhafte Kind an den Schminktisch, um es seinem Schicksal zuzuführen. Bereits beschminkte Kinder trotten mit hängenden Schultern an mir vorbei. In ihren Gesichtern prangen verlaufene blaue Schmetterlinge. Ich blicke ihnen hinterher. Sie erinnern mich an die geknechteten Schotten, die in blauer Kriegsbemalung darauf warten von Mel Gibson in die Freiheit geführt zu werden.

Ich ziehe meinen verängstigten Sohn in Richtung des Esstisches. Dort sitzt der Sohn der Genderbeauftragten unserer Verbandsgemeinde. Missmutig grunzt er in Emils Richtung. Wahrscheinlich gefällt ihm sein Prinzessinenkostüm nicht. Oder die Farbe seines Nagellacks. Emil glotzt fasziniert. Der Prinzessin oder die Prinz nagt gelangweilt an seinem Dinkelbrot mit veganer Tomatenpaste. Emil zieht an meiner Hand. „Kann ich jetzt nach Hause gehen?“. Ich entschließe mich kurzerhand, mir freizunehmen. Bevor wir den Kindergarten verlassen drehe ich mich um, hebe die Faust und brülle laut und leidenschaftlich „FREEEEIIIHEEEIIIT!“. Und während die Tür langsam ins Schloss gleitet, erheben sich die schottischen Schmetterlingskämpfer unter der Führung des Prinzessin gegen das Karnevalsdiktat.

7 comments

  1. Ahhhhh! Wie soll ich ernsthaften Kundenkontakt initiieren und durchhalten, wenn du sowas schreibst ich prustend am Schreibtisch sitze und gern ein Prinzessinnenkostüm hätte?

    Like

  2. Köstlich. 🙂 Ich bin nicht allein mit meiner Abneigung gegen Fasching. Und das sagt ein Clown! Naja, es soll ja auch Kindergärtnerinnen geben, die Kinder nicht mögen.^^

    Liebe Grüße, Claudia

    Like

  3. Sooo klasse geschrieben!! Als Ostfriesin, lebend in Hessen habe ich es genau so schwer wie Emil. Am Montag werde ich die „Prunksitzung zu Heuchelheim“ als Kellnerin unterstützen – und glaube mir: Ich habe Angst.

    Gefällt 1 Person

  4. Ich fühle mit euch! Karneval ist auch nicht meins und ich war heilfroh, dass mein Kind in diesem Jahr scheinbar richtig Spaß daran im Kindergarten entwickelt hat. (Im Eifer deiner Aufregung ist dir ein kleiner Rechtschreibfehler unterlaufen… Schau nochmal bei „Verkleidungsmöglichkeiten“ 😉)
    Herzliche Grüße

    Like

  5. Hallihallöchen 🙂 Auch ich bin kein Fan von dieser sogenannten fünften Jahreszeit. Ich komme aus dem Schwabenländle, da wird nochmal anders gefeiert. Meinetwegen, das mache ich noch mit. Jetzt wohne ich in NRW und denke mir nur so „Neee.“ 😀 Danke für deinen super witzigen Post. Ich bin mal gespannt, was da später auf mich und meine Kinder zukommt 😀 (Noch sind sie nicht geboren :D)
    Lg Tami

    Like

  6. Zugfahrt vergangenen Donnerstag mit Umsteigen in Köln UND Düsseldorf und Aufenthalt in diversen Nahverkehrszügen der Region: wo kommen all die Menschen im Strampelanzug her? Sei stolz auf Dein Kind und halte durch.

    Like

Hinterlasse einen Kommentar