Aufbruch

Ich bin mit Anna im Club. Wir tanzen. Schon seit Stunden. Ich bin müde, aber merke es nicht. Gegen 5.00 Uhr knackt es im Knie und mir reißt der Meniskus. In den Tagen danach kennt der Indianer keinen Schmerz und ignoriert das knorpelige Knirschen im Gelenk tapfer. Die Schwellung verschwindet und “es geht schon”.

3 Monate später läuft der Indianer unrund über ein Handballfeld und während einer waghalsigen Aktion, die an Eleganz und Schönheit kaum zu überbieten ist, zuckt ein lauter Blitz durch das lädierte Knie und der Meniskus verabschiedet sich erneut. Diesmal vollständig. Korbhenkelriss. Die Mutter aller Meniskus-Verletzungen.

Im letzten Jahr hat sich vieles verändert. So wie der Riss sich einmal quer durch den Meniskus zieht, so haben sich auch Abgründe in meinem Leben aufgetan. Nach anderthalb Jahren steht jetzt meine Scheidung kurz bevor. Eine Zäsur, die einmal von Osten nach Westen quer über mein Leben verläuft. Ich lerne an einer neuen Grenze. Ein Paradigmenwechseln, den ich gestalte. Veränderung, die meinem Wollen gehorcht. Ich hatte sehr lange Angst davor Umstände zu machen, aber jetzt mache ich sie gerne. Ich bin Mann. Ich bin Vater. Ich bin Seelenpartner. Ich bin Liebhaber. Ich bin da. Ganz.

16 Stunden nach der OP kommt der ungarische Arzt lässig in mein Zimmer geschlurft. Er trägt Chucks und ist gerade erst volljährig geworden. Anna lächelt fassungslos. Ich frage den Jüngling in Weiß, wie die Chancen stehen, dass die Naht in meinem Meniskus hält. Sein Versuch, die aalglatte Stirn in nachdenkliche Falten zu legen, scheitert kläglich. “Ah, weißt du… kann man nicht sagen. Vielleicht ja. Vielleicht nein. Wer weiß?” Ich hatte gehofft, er weiß. Tut er nicht. Anna aber. “Anselm, der wird halten. Das wird heilen. Alles wird heilen. Das weiß ich.”

Nach einer langen Wortinfarkt-Pause geht es nun genau darum. Um Neues. Aufbrüche. Umbrüche. Schiffbrüche. Um Grenzen. Erwachsenwerden. Um die Auseinandersetzung mit dem was war, um das was kommt gestalten zu können. Der Tanz mit einem vernarbten Meniskus.

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