Elternabend II

Das faszinierendste an Elternabenden?! Alle Anwesenden geben ihre Persönlichkeit beim Eintritt in das Klassenzimmer ab und definieren sich fortan nur noch über ihre Kinder. „Ach, sie sind die Mama von Hannah-Louise?“, „Ich bin der Vater von Lukas.“ Eigene Namen haben wir nicht mehr. Geschweige denn ein eigenes Leben. Es geht nur noch um die Zukunft der Brut. Wir sind allenfalls Wegbereiter für die lieben Kleinen. Erfüllungsgehilfen. Die Trittbretter auf denen die kommende Generation mitfährt.

… „Kommen wir zur Wahl des Elternsprechers“. Frau Lehrerin gendert nicht. Ein paar Mütter in den hinteren Reihen finden das nicht in Ordnung und tuscheln erbost. Ich kenne Frau Lehrerin gut genug, um zu wissen, dass sie die Genderdebatte aus Prinzip unterwandert. Gewese um Nichts. First World Problem. Fingerübung des gelangweilten Bildungsbürgertums. Aber nicht mit ihr.

Frau Lehrerin fängt an, aus der Schulwahlordnung des Landes Rheinland-Pfalz zu rezitieren. Zwei Plätze weiter taucht eine Kopie des Textes auf. „Ich habe mir die SchuWo mal ausgedruckt…“, höre ich Timons Mutter ihrer Nachbarin zuraunen. Die „SchuWo“. Offensichtlich sind Timons Mama und die SchuWo ganz dicke miteinander. Bei einem Glas Wein sind sich beide ganz nah gekommen und sind nun per „Du“. Timons Mama macht heute Abend niemand was vor.

Frau Lehrerin hat inzwischen den Text beiseite gelegt und ist dazu übergegangen nur die wichtigsten Details zu verkünden. „… gibt es hier Anwesende, die eine offene Wahl beantragen möchten? Wir wären schneller fertig, wenn wir offen wählen würden…“ Der Wink mit dem Zaunpfahl. Die erforderlichen 3 Hände stoßen ruckartig in die dicke Luft. „Gut. Stimmen wir über diesen Antrag ab. Wir brauchen Einstimmigkeit.“ Wir wollen alle nach Hause. Dennis Vater hat schon verstohlen die Halbzeitergebnisse der Champions-League Partien auf seinem Smartphone gecheckt. Er ist nicht dabei erwischt worden. Glück gehabt. Sonst wäre das Handy bis zur nächsten Großen Pause weg gewesen.

Die Abstimmung über die offene Wahl läuft planmäßig, bis die Frage „Gegenstimmen?“ plötzlich wie ein Damoklesschwert über unseren Köpfen schwebt. Timons Mutter hebt entschlossen die Hand. „Hätte nicht schon die Wahl über unser Abstimmungsprozedere geheim sein müssen? Ich meine, unter „Allgemeines“, Paragraph 2 so etwas gelesen zu haben…“ Die Schwerter fallen und bohren sich in unsere Köpfe. Dennis Vater kann es nicht fassen.

Wir sitzen jetzt seit 2 Stunden auf viel zu kleinen Stühlen. Wir haben alle Rückenschmerzen und ein Großteil der Männer hat auf Fussball gehofft. Das war’s. Dennis Vater läuft rot an und sieht aus als wolle er Timons Mutter die SchuWo mitsamt ihrer Zähne in den Hals stopfen. Ein wütender Mob mordlüsterner Väter durchbohrt Timons Mutter mit Blicken. Sie nimmt die SchuWo und lässt sie unter dem Tisch verschwinden.

Frau Lehrerin hat mit derlei Bürokratischen Spitzfindigkeiten nicht gerechnet. Es folgt also eine geheime Abstimmung über die offene Wahl zum ungegenderten Elternsprecher. Nach 15 Minuten steht fest: Der Antrag ist gescheitert. Zwei Gegenstimmen. Neben Timons Mutter, habe ich auch Stellas symbiotische Mama im Verdacht gegen die offene Wahl gestimmt zu haben. Der letzte Racheakt einer Sterbenden. Frau Lehrerin trägt es mit Fassung. Sie lächelt säuerlich. Scheiß Demokratie. Dafür werden Stella und Timon ab morgen büßen müssen.

„Es geht nun darum Freiwillige zu finden, die in der Lage sind das Amt des Elternsprechers auszufüllen“. Wieder unwirsches Gemurmel aus der ungegenderten Genderecke. „Ich habe im Vorfeld schon mal Frau Schneider, Antons Mama, gefragt ob sie diese Aufgabe übernehmen würde.“ Die Gebauchpinselte lächelt. Timons Mutter friert das Gesicht ein. Sie wittert Vetternwirtschaft. Allerdings ist in diesen Breitengraden fast unmöglich Vetternwirtschaft zu vermeiden. Hier ist jeder mit jedem verwandt. Die Stimmung ist trotzdem gereizt. Ob es „Gegenkandidaten“ gäbe? Sie muss diese Frage stellen, erwartet aber keine Meldung. Frau Lehrerin hat ihre Kandidatin erkoren. Frau Schneider wird der nächste Elternsprecher! Das Eltern-Stimmvieh hat diese Ernennung nur noch abzunicken. Und alle sind bereit genau das zu tun. Nur nach Hause. Unsere Rücken sind mürbe. An diesem Abend wird es keine Revolution geben. Auch an keinem anderen. Ein weiteres Highlight demokratischer Teilhabe.

Auf dem Parkplatz werden wir uns gegenseitig versichern, dass diese Wahl eine Farce war. Aber wir sind nur schlecht gelaunt. Mit schlecht gelaunten Menschen stürzt man keine Systeme. Wir sind Wutbürger und in unseren wutbürgerlichen Küchen werden ganz kleine Brötchen gebacken. Unser Protest erschöpft sich im Liken von kritischen Beiträgen. Aber nicht zu kritisch bitte. Nur ein bißchen.

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